Unverkrampft: die erste Begegnung mit Trauernden

Bei der Vorstellung, morgen der Kollegin zu begegnen, die vor zwei Wochen Ihren Mann verloren hat, krampft sich bei den meisten der Magen zusammen. Der Kopf wird leer und der Fluchtimpuls ist deutlich spürbar.

Wenn man Trauernde fragt, berichten sie fast alle von Nachbarn, Kollegen und Bekannten, die die Straßenseite wechselten, sich nie wieder meldeten oder plötzlich in der Kaffeeküche verschwanden, als sie um die Ecke kamen.

Geben wir es zu: bei der ersten Begegnung mit einer trauernden Person fühlen sich die meisten von uns unsicher. Und aus Erfahrung weiß ich, dass auch Führungspersönlichkeiten ihrem Fluchtimpuls in dieser Situation oft nachgeben.
Trauernde spüren das. Immer.
Ich erspare uns an dieser Stelle die Ausführungen, wie beziehungsschädigend dieses Verhalten wirkt.

Ist es denn möglich einer trauernden Person unverkrampft zu begegnen?
Ich denke schon. Lassen Sie uns mal überlegen, wie das gehen könnte.

So bereiten Sie das Treffen vor

Die gute Nachricht: Der Fluchtimpuls wird kleiner, wenn man genau weiß, was man in dieser Ausnahmesituation tun möchte und wie man es umsetzt. Jetzt 3 min Lesezeit zu investieren, ist eigentlich schon die halbe Miete.
Und dann brauchen Sie noch drei Dinge:

  • zwei, drei Minuten Konzentration
  • einen offen Blick und
  • einen ersten Satz

Wenn Sie unverkrampft auf Ihre frisch verwitwete Mitarbeiterin zugehen möchten, brauchen Sie zunächst kurz Zeit für sich. Zeit, um sich zu  konzentrieren, um tief durchzuatmen und sicher zu stehen. Vermutlich kennen Sie Zentrierungsübungen, z.B. aus dem Präsentationstraining. Nutzen Sie diese für die Begegnung mit der trauernden Person, sie geben Ihnen eine angenehme, ruhige Ausstrahlung. Außerdem fühlen Sie sich gleich besser.
Jetzt fehlt noch einen ersten Satz und ein authentischen Blick.
Gehen Sie auf die Trauernde zu, gucken Sie ihr angemessen weich in die Augen. Das ist wichtig und angenehm für Ihr Gegenüber, denn das Nicht-gesehen-werden gehört leider zum Alltag vieler Trauernder. Und dann sagen Sie … ??? Was?

Untiefen vermeiden

Beileidsbekundungen sind als Gesprächsöffner eher heikel. Etwa so:
„Mein aufrichtiges Beileid!“ „Danke!“
Und dann stehen Sie sich stockig gegenüber und fühlen sich beide unwohl.
Sackgasse.
Ich habe diese Situation als Trauende häufig erlebt. Höchst unangenehm! Damals hätte ich meinem Gegenüber fast auf die Schulter geklopft und „Kopf hoch!“ gesagt.

Und da gibt es noch ein Phänomen, das viele Trauernde nur zu gut kennen: Dieser getragene, nasale Ton in der Stimme, mit dem man ihnen begegnet. Dieser drückt vermeintlich Mitleid und das Wissen um die Schwere der Situation aus. Tatsächlich klang diese Stimmfärbung für mich unangenehm künstlich. Wenig hilfreich! Auch ziemlich unangenehm.

Die richtigen Worte finden

„Wie geht es Ihnen?“ – frisch und einladend formuliert – könnte ich mir als ersten Satz gut vorstellen.
Um nicht wie die Hausärztin zu klingen, frage ich auch mal norddeutsch-leger: „Und? Wie ist Ihnen grad‘?“ Wichtig ist mir dabei der warme Blick.
Jetzt hat die trauernde Person die Möglichkeit, die Situation selbst zu gestalten. „Na, muss ja.“ ist so eine typische Antwort bei uns im Norden.
Trauernde fühle sich übrings nicht in jeder Minute schlecht.
Trauer macht sensibel, auch für die kleine, alltägliche Schönheit des Lebens. Ein Sonnenstrahl, ein guter Kaffee, ein Gegenüber, dass offen und herzlich ist – auch in der Trauer gibt es warme Momente.
Wenn Sie unverkrampft fragen, bekommen Sie mit Sicherheit eine Antwort, die die Schwierigkeit der ersten Begegnung schmelzen lässt.

Doch manchmal will unverkrampft nicht gelingen.
Zu schwer scheint das Schicksal, dass die Mitarbeiterin, der Mitarbeiter trägt. Manchmal verschlägt einem der Anblick der trauenden Person fast die Sprache, so schmal und grau, so gezeichnet wirkt sie.
Auch das kommt vor.
Dann würde ich raten, sagen Sie genau das. Vielleicht so: „Ihr Verlust macht mich ganz sprachlos. Aber ich bin froh, Sie wieder hier begrüßen zu dürfen!“ Ruhige Worte, ein umfangender Händedruck dazu.

Beileidsbekundungen einweben

Ich würde nach zwei, drei Sätzen die Beileidsbekundung ergänzen. Beileidsbekundungen sind nicht allen Trauernden wichtig, aber für viele gehören sie dazu. Sie sind dann ein Zeichen des Mitgefühls. Für Führungspersönlichkeiten sind sie daher schlicht ein konventionelles Muss.

Den weiteren Verlauf des Gesprächs gestalten Sie in Ihrem Stil. Die Länge dieser persönlichen Ansprache entspricht ungefähr der Zeit, die Sie sich für die Gratulation bei einer Geburt oder einem runden Geburtstag nehmen. Ein paar Minuten später fällt dann auch Ihnen ein Stein vom Herzen, dass die Begrüßung der Trauernden viel berührender und angenehmer war als befürchtet, versprochen.